Amewu (D), O.L.I. & DJ Rob & DJ Satches
Mit dem Blick durchs Fenster zur Sprache
In einer immer kälter werdenden Gesellschaft fern von Vorbildern, Langlebigkeit und Selbstreflektion hilft Musik über die Niederschläge zwischen mentalen Nebelbänken und eisigen Wintertagen hinweg. Rap fällt da als Gegenmassnahme kaum als Erstes ein, eher etwas leicht Verdauliches aus dem viel beschworenen Süden mit viel Temperament, Farbe, Tanz und Spiel. Doch so funktioniert unsere Wirklichkeit nicht, und das wissen wir alle sehr genau, und deshalb kennen wir auch die andere Seite. Das unsterbliche Verlangen mehr zu sein, als die vom Konsum verklebten Puzzlestücke unserer Vergangenheit, Ausbildung und Herkunft hergeben. Uns sehnt es nach einer Bestimmung, nach einem Sinn und nach Erkenntnis.
Amewu ist ein Künstler, der genau diese Werte als Grundgerüst für seine Texte angenommen und sie in seiner unglaublichen Technik mit einer beinahe erschlagenden Offenheit gegenüber menschlichen Schwächen zu lyrischen Meisterwerken weiterverarbeitet hat. Bisher sind deren zwei auf Albumlänge erschienen, zum einen der Erstling «Entwicklungshilfe», dessen Entstehungsgeschichte bis 2009 beinahe zehn Jahre gedauert hat, dazwischen 2011 die EP «Fenster zur Sprache» und 2012 «Leidkultur». Letzteres ist, wie man es bei den alten Meistern genannt hätte, ein Gesamtkunstwerk geworden, das keine nennbare Konkurrenz innerhalb der Szene findet, da sich darauf Form, Stil & Inhalt in Demut gegenseitig ergänzen, so dass jede Art der Kritik im Angesicht des Gesamtbildes verstummt und geradezu lächerlich wirkt. Wer das nicht versteht, für den klingt die Musik wohl nach Psalmengeschwätz und Glückskeksweisheiten auf höchstem technischen Rap-Niveau, doch wer sich darin findet, erhält keine Antworten, sondern einen Weg gezeigt und Amewu fordert den Zuhörer auf, zu kämpfen, um diesen mit offenen Augen zu beschreiten, die Kraft und den Willen dazu liefert kein Gott, sondern jeder einzelne Mensch selber.
Wem das zu düster oder philosophisch klingt, kann sich auch einfach an den Beats erfreuen und in den punktgenauen Wortfluten des Berliners treiben lassen. Unter wechselnden Pseudonymen u.A. als «Halbgott» fand er nämlich schon früh an Freestyle-Anlässen in Dubstep- und Grime-Kreisen sein Tempo und die musikalische Dichte, die seine Texte in der richtigen Atmosphäre zum aufmerksamen Zuhörer tragen. Amewu ist nicht jemand der Battletexte gegen Imagerapper schreibt, sondern jemand der seine inneren Kämpfe mit Willenskraft und Rap als Waffe offen ausfechtet. Wie, wenn nicht mit viel Willen, kann man sonst in «Training Day» Doubletime-Parts rappen und während des Refrains noch Liegestützen hinlegen? Ganz einfach oder auch nicht, denn sonst würden es alle machen, somit bleibt er nun mal einer der wenigen deutschen «Live-MCs», der diesen Titel auch verdient, was er gemeinsam mit Megaloh und Chefket in dem gleichnamigen Song sehr überzeugend klar stellt.
Zur Einwärmung dieses lyrischen Spektakels konnte überraschend erfolgreich der Zofinger Rapper O.L.I. gewonnen werden, der gemeinsam mit seinem langjährigen Weggefährten DJ Rob über Beats von «Ich und seine Freunde» seine Texte zum Besten geben wird. Früher mal bei OGZ, dann als Trio unter dem Namen R.O.H und nun eigentlich nur noch solo aktiv, überzeugt er mit seinem unverwechselbaren Stil zwischen Mani Matter, Shape und EKR. Ungewöhnliche Mischung, ungewöhnlicher Künstler! Denn er ist nicht nur der «Protestsong-mit-The-Music-Monkeys»-Rapper sondern noch viel mehr – besonders seine Freestyles beweisen dies zu jeder Tag und Nachtzeit eindrücklich. Auf einen eigenständigen Release warten wir noch immer vergebens, doch dieser Auftritt bietet zumindest vorübergehende Linderung für den lyrischen Durst. Wir sind dankbar dafür und freuen uns auf das Konzert.
Rund um die Liveshows kramt DJ Satches mal wieder die üblichen Verdächtigen aus seiner Musikkiste und stiehlt uns so mit Links den Verstand, übergibt jegliche Regungen an die Füsse und lässt uns wie Puppen tanzen. Sehr ekstatisch tanzen genaugesagt.